Was verstehen Sie unter innovativem Filmemachen und was ist das Ziel Ihres Projektes?
Die Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK) bietet in Zusammenarbeit mit dem Institut Forschender Film und EYZ-Media einen partizipativen Kurs zum Thema "Innovatives Filme Machen" an. Die 32 Videolectures des Autoren, Regisseurs und HFBK-Professors Robert Bramkamp werden in einer linearen Kursstruktur im Rahmen eines GitBook angeboten und von einem Wiki zu verwandten filmtheoretischen und -politischen Fragen begleitet. Wir haben Robert Bramkamp zu seinem neuen Projekt befragt.
Was verstehen Sie unter innovativem Filmemachen und was ist das Ziel Ihres Projektes?
Was genau wollen Sie denn "neu bewerten"?
Mit welchen Formen sich die Fiktion auf das Eigenleben einer dokumentarischen Situation einlassen kann und diese filmisch transformiert, das erzählt unsere Lecture "Doku-Fiktion und hybride Genres". Sie beschreibt Dreharbeiten, die in Kooperation mit 200 Katastrophenschutz-Helfern des Deutschen Roten Kreuzes und Technischen Hilfswerks im Rahmen eines dokufiktionalen SciFi-Settings stattfanden. Dabei entstanden jenseits unseres habituellen, medialen Katastrophismus unerwartete und hilfreiche "Spielebenen der Wirklichkeit" wie es die Stuttgarter Zeitung so treffend beobachtet hat.
Sie plädieren also für mehr Freiheit und im Grunde für die Auflösung der Genres?
Und was ist mit der Geschichte? Wollen Sie auch das Drehbuch abschaffen?
Dabei stelle ich mir auch die Frage, ob nur die Assoziationsfähigkeit, Beflissenheit oder Routine einsam schreibender Autor*innen Stoffe für Filme erzeugen? Was macht Themen relevant? Sollten Filme überhaupt von Themen ausgehen, die anderswo als "relevant" gehegt werden? Was wäre, wenn Firmen oder Stadtviertel, Personen oder Kunstwerke neue Fragen aufwerfen und auch die Initialzündung geben dürften?
In gleich zwei Lectures erläutere ich, wie etwa die Medieninstallation Angels in Chains von Susanne Weirich die Möglichkeiten der Filmerzählung erweitert (Lecture "Erzählung: Wie?"). Damit ist auch die Zeit des liebenswert nostalgischen Erzählers vorbei. Jenseits der auktorialen Erzählung öffnet sich die filmische Erzählfunktion zu innovativeren Optionen. Vielstimmige Erzählweisen erkennen die heutigen digitalen Archive als Teil unserer Alltagsrealität an. (Lecture "Erzählung: Wer?"). Sie stellen sich der Aufgabe, unser Leben in der "digitalen Relation" (Laurence A. Rickels) demokratisch mitzugestalten. So stellt Prof. Dr. Michaela Ott in der Lecture "Kunst als Erzähler" Affektion als ein Alternativkonzept zu starren Dramaturgiemustern vor und entwirft einen Gegenmodus zu allen Formen der Kausalkonstruktion. Das Versprechen ist: In einem innovativen Film ist die Welt mehr als das Handeln von Figuren aus dem 19. Jahrhundert, es ist keine Familienaufstellung mit "ganzen, echten Menschen", die, laut Georg Seeßlen, immer noch "eine faule Lüge" sind. Affektion ebenso wie innovative Filme nehmen demgegenüber das Beziehungsgeflecht auf vielen Ebenen war, von dem wir ständig beschenkt werden. In der Lecture "Rezeption als Dialog" entwirft Seeßlen eine Idee von innovativer Filmkommunikation, die über die landläufige Vorstellung von Botschaften und Themen hinausgeht. Stattdessen entwirft er einen Erzählraum, der ein "beglückendes Übertragen von Freiheit" ermöglich kann.
Sie plädieren also für filmische Freiheiten auf allen Ebenen. Was ist mit der Postproduktion? Gibt es auch eine Montagefreiheit?
Umso spannender ist auch der soziale Herstellungsprozess. Die Forderung an innovative Film-Produzent*innen lautet: "Integriert mehrere parallele Produktions- und Erzählwirklichkeiten – wie im wirklichen Leben!" oder der Lecture "Kollektive Montagen: Vielstimmigkeit". Allein in der Animationsabteilung des Beispielfilms Art Girls oder des TV-Spin Offs Neue Natur waren zehn unterschiedliche Autor*innen involviert, wodurch eine dichte Vielstimmigkeit entsteht. Und es entstehen moderne Filmfiguren, die erkennbar aus verschiedenen Schichten der Realität zusammengesetzt sind und dennoch darin navigieren können, wie etwa die animierten fliegenden Frösche (Lecture "3D Einführung. Charakter, Animation, Compositing").
Allerdings muss es der Rhythmus der Postproduktion ermöglichen, die unterschiedliche Animations-Fantasie von zehn Autor*innen in die entstehende filmische Welt einfließen zu lassen. Es geht nicht länger nur darum, im Drehbuch aufgeschriebene Spezialeffekte brav nachzubauen. Die Erfindungen der Animation und des Schneideraums können mit innovativen Produktionsstrukturen rückgekoppelt werden in die Weiterentwicklung einer innovativen filmischen Welt.
Was bedeutet das genau?
Robert Bramkamp dreht seit 25 Jahren innovative Spielfilme, in denen das Verhältnis von Fakt und Fiktion immer wieder andere, faszinierende Verbindungen eingeht. In seinen Arbeiten verbindet er Dokumentar-, Essay- und Spielfilm und findet dabei unkonventionelle Perspektiven für ein thematisch weit gefächertes Erzählen. Seit April 2008 ist Robert Bramkamp Professor im Studienschwerpunkt Film und digitales Kino an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.
Das Sound Department?
Und was der an der HFBK entstehende Kollektivfilm "Offensiv Experimentell – Dazu den Satan zwingen" zum Projekt beiträgt, das besprechen wir dann beim nächsten Mal.