Am 3. Oktober startet mit der "Deutschstunde" die Verfilmung eines Klassikers der Nachkriegsliteratur auf der großen Leinwand. Wir haben uns mit Regisseur Christian Schwochow (Bad Banks) und Drehbuchautorin Heide Schwochow vor der Weltpremiere beim Filmfest Hamburg getroffen und u.a. gefragt, wie man einen knapp 600-Seiten Roman in ein Drehbuch gießt.
Im Presseheft zur Deutschstunde steht, dass der Roman für dich einer der wichtigsten ist, die du je gelesen hast. Magst du uns verraten, warum?
Christian Schwochow: Ich habe den Roman das erste Mal vor 12 Jahren gelesen – und seitdem begleitet er mich. Ich fand es außergewöhnlich, wie Lenz die Geschichte eines Jungen erzählt, der zwischen zwei Vaterfiguren aufgerieben wird. Eine Kriegsgeschichte, bei der zwei Männer zu Feinden werden. Ich war gerade im dritten Jahr meines Filmstudiums und habe gedacht: "Daraus muss ein Kinofilm werden". Durch einen Zufall hab ich dann die heutigen ProduzentInnen des Films Jutta Lieck-Klenke und Dietrich Kluge kennengelernt – sie waren gerade dabei, sich die Rechte für die Verfilmung des Stoffs zu sichern. Fünf Jahre später bekam ich dann einen Anruf und die beiden fragten mich, ob ich immer noch Interesse hätte, die "Deutschstunde" zu verfilmen. Da hab ich natürlich sofort "ja" gesagt.
Wie geht ihr beim Drehbuchschreiben vor und inwiefern unterscheiden sich Buch und Film?
Heide Schwochow: Wenn ich die Adaption eines Romans schreibe, überlege ich mir zuerst ein Konzept. Man muss sich auf eine Kerngeschichte einigen und festlegen, aus welcher Perspektive erzählt wird. Das war für uns relativ schnell klar – und dann schaue ich, welche Figuren ich verändern will. Gudrun zum Beispiel ist im Roman so abgrundtief böse, so eine Frauenfigur wollte ich im Film nicht haben. Auch der Maler hat ganz andere Facetten bekommen. Er will Siggi das Malen beibringen und bringt ihn damit in Gefahr. Später verrät er ihn. Am Ende stehen beide Männer da und bringen Siggi in Haft.
Ein weiterer, langer Prozess ist die Verdichtung des Romans, denn man kann natürlich nicht knapp 600 Seiten auf die Leinwand bringen. Das ist manchmal auch Trauerarbeit. Wer einen Roman sehr mag, verliebt man sich im Laufe der Arbeit fast schon zwangsläufig in ihn. Christian war sehr schnell klar, dass es eine stringentere Geschichte sein muss – doch ich mochte die Opulenz. Wir sind dann Stück für Stück immer weiter zu einer parabelhaften Geschichte gekommen. Es ist wie eine Reise.
Christian Schwochow: Keine Szene aus dem Roman wurde 1:1 übernommen. Alles verändert sich im Laufe des Prozesses. Und irgendwann hat man dann auch nicht mehr den Roman neben sich liegen beim Drehbuchschreiben.
Heide Schwochow: Ganz genau, und das ist auch unbedingt nötig. Der Roman ist eine Vorlage, aber man muss etwas Neues schaffen. Der Geist des ursprünglichen Buches soll dabei aber natürlich erhalten bleiben.
Christian Schwochow: Der Autor hat einem durch seinen Roman quasi die erste Drehbuchfassung geschrieben, an der man dann weiter arbeitet. Auch bei originären Stoffen unterscheidet sich die erste Fassung in der Regel stark vom finalen Drehbuch.
Habt ihr jemals darüber nachgedacht, die „Deutschstunde" fürs Fernsehen zu produzieren?
Christian Schwochow: Nein, nie. Und ich habe auch direkt gesagt, ich würde ihn fürs Fernsehen nicht machen. Wir hatten den Film von Anfang an so bild- und tongewaltig im Kopf – das kann Fernsehen in der Form nicht abbilden, da viele Menschen gar nicht die entsprechende Technik zu Hause haben.
Hattet ihr die beiden Hauptdarsteller Tobias Moretti und Ulrich Noethen schon früh beim Schreibprozess im Kopf?
Christian Schwochow: Wir haben bei der Deutschstunde erst relativ spät über die Besetzung gesprochen – etwa ein Jahr vor Drehbeginn. Ich hatte mit Tobias Moretti bereits „Bad Banks" und mit Ulrich Noethen „Die Unsichtbare" gedreht. Für mich war es die einzige Konstellation von Schauspielern, über die ich überhaupt nachgedacht habe. Es war klar, dass es zwei schauspielerische Naturgewalten sein müssen. Zwei Schauspieler, die sich ebenbürtig sind. Ich habe beiden am gleichen Tag das Drehbuch geschickt – und beide sagten innerhalb von 24 Stunden zu. Ich hab mich in der Vergangenheit davon verabschiedet, bereits früh über Besetzungen nachzudenken, da sich Figuren im Laufe der Drehbucharbeit teilweise massiv verändern. Wenn man sich zu früh festlegt, kann einen das auch blockieren. Und bei der Hauptrolle des jungen Siggi Jepsen konnten wir erst sehr spät mit dem Casting beginnen, da Kinder sich in dem Alter sehr schnell verändern. Wenn ich ihn heute auf der Premiere treffe, kann es sein, dass er bereits im Stimmenbruch ist.