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Ein Blick hinter russische Garagentore

22.02.2020 | Weltpremiere “Garagenvolk“ @ Berlinale

"Garagenvolk" feiert seine Weltpremiere am 26. Februar auf der Berlinale

Ob Geflügelzucht, Fitnessraum oder kleines Tunnelsystem: Regisseurin Natalija Yefimkina gewährt uns mit ihrem Berlinale-Film „Garagenvolk" faszinierende Einblicke in die Welt russischer Garagen. Wir haben mit den Hamburger Produzent*innen Andrea Schütte und Dirk Decker über den Dokumentarfilm gesprochen, der in der „Perspektive Deutsches Kino" seine Weltpremiere feiert.

Wie seid ihr zu dem Projekt gekommen?

Andrea Schütte: Ich habe die Regisseurin Natalija Yefimkina vor mehreren Jahren bei einem gemeinsamen Filmprojekt (Mädchen im Eis) in Russland kennengelernt, bei dem sie als 2. Regieassistentin gearbeitet hat. In dieser Zeit war sie mehrmals auf der Suche nach Komparsen. Während ihrer Suche stieß sie immer wieder auf Menschen, die einen Großteil ihrer Zeit in ihren Garagen verbrachten und dort unterschiedlichen Hobbies und Tätigkeiten nachgingen. Als wir zurück in Deutschland waren, sagte Natalija, dass sie gerne einen Dokumentarfilm über die Menschen in Russland hinter den Garagentoren machen würde. Sie wollte ein Bild von Russland zeichnen, das in den Medien selten transportiert wird. Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nie als Regisseurin gearbeitet. "Garagenvolk" ist Ihr Debütfilm.

Dirk Decker: Als das Projekt zu uns kam, waren wir gerade mit der Herausbringung von „Manche hatten Krokodile" beschäftigt. Den Menschen dort haben wir uns im Endeffekt auf sehr ähnliche Art und Weise genähert wie bei "Garagenvolk". Also sehr betrachtend, ohne Wertung. Deswegen hat uns das Projekt wahrscheinlich auch gleich so angesprochen. Es hat einfach zu uns gepasst.

Ein eingespieltes Team: Dirk Decker und Andrea Schütte von Tamtam Film

Wie lange hat es gedauert, die Garagenvölker zu finden?

Andrea Schütte: Natalija war zur Recherche mehrfach in Russland und hat Stück für Stück die Menschen hinter den Garagen kennengelernt. Aber nicht jeder, der eine tolle Garage hat, hat auch eine tolle Geschichte oder kann sie gut erzählen. Sie hat sich dann immer wieder mit potentiellen Protagonisten in Verbindung gesetzt und den Kontakt gehalten. 2018 haben wir in mehreren Blöcken an rund 40 Tagen gedreht.

Dirk Decker: Im ersten Block haben wir fast ausschließlich recherchiert. Im zweiten Drehblock hat sich der Kameramann den Fuß gebrochen. Im dritten Drehblock mussten wir dann auch das nachholen, was wir im zweiten aufgrund des Ausfalls nicht geschafft haben.

Andrea Schütte: Die Dramaturgie musste sich ein bissen ändern, weil wir ursprünglich nur im Winter drehen wollten und durch den Nachdreh jetzt über das Jahr verteilt gedreht haben. Im Nachhinein war es eine glückliche Fügung, weil wir größere Bögen spannen konnten.

Drehen auf engstem Raum
Regisseurin Natalija Yefimkina vor verschneiten Garagen

Wie waren die Drehbedingungen vor Ort?

Andrea Schütte: Wir hatten ja schon ein bisschen Erfahrung in Sachen Dreharbeiten in Russland. Und zum Glück gab es nicht viel Equipment, das wir mitnehmen mussten. Unsere zwei Leute für den Ton kamen aus Moskau, und haben ihre Sachen von dort mitgebracht. Auch die Drehgenehmigung haben wir recht schnell bekommen, da „Garagenvolk" auf den ersten Blick nicht unbedingt ein politischer Film ist. Auf den zweiten Blick ist er das natürlich sehr wohl, da sich die Menschen auch systemkritisch äußern. Für Natalija und unseren Kameramann Axel Schneppat waren die Bedingungen aber nicht immer ganz einfach, weil sie sich viel mit den unterschiedlichen Stimmungslagen der Protagonisten arrangieren mussten und Verabredungen auch nicht immer eingehalten wurden. Hier war oft Improvisationstalent und Langmut gefordert, ohne dabei die Vision aus den Augen zu verlieren.

Trailer "Garagenvolk"

Wer sind für euch die skurrilsten/spannendsten Charaktere des Films?

Dirk Decker: Ich finde die Garage des "Gräbers" ziemlich verrückt, der in seiner Garage einfach vier Stockwerke nach unten gegraben hat.

Andrea Schütte: Mein Lieblings-Protagonist ist Roman, der Geflügelzüchter. In ihm zeigt sich sehr viel persönliches Leid, aber auch Glück. Er findet im Film seine Liebe – und das gefällt der Romantikerin in mir sehr.

Dirk Decker: Der Schrottsammler ist auch toll mit seinem völlig verrückten Gefährten, der leider mittlerweile verstorben ist, genauso wie der besagte Gräber.

Andrea Schütte: Das Leben in dieser Gegend ist alles andere als leicht, die Lebensweisen alles andere als gesund.

Wo hat das Team während der Dreharbeiten gewohnt?

Andrea Schütte: Einer unserer Drehorte ist ein Skiort mit tollen Bergen. Die Skandinavier fahren dort oft hin, deshalb gibt es dort ein paar Hotels. In diesem Ort haben Natalija, Axel und Konrad, unser 2. Kameramann, gewohnt und sich von dort in die anderen Orte bewegt, wo sie die Garagen gefunden haben. Es ist keine reiche Gegend, aber natürlich gibt es dort auch Supermärkte. Man findet auch westliche Artikel, wenn man sie sucht.

Was kann man denn eurer Einschätzung nach von den Garagenvölkern lernen?

Andrea Schütte: Ich glaube, Demut und Gemeinschaftsgefühl. Alleine kommt man eben nicht so weit wie zusammen. Auch wenn jede Garage ein individuelles Produkt ist, ist das Garagenvolk eine Gemeinschaft.

Dirk Decker: Demut ist tatsächlich ein gutes Stichwort. Es ist schon beeindruckend, was die Garagenvölker für eine Zähigkeit haben und trotz dieser unwirtlichen Gegend ihren Mut und Humor behalten.

Andrea Schütte: Die Menschen behalten ihre Träume und geben nicht auf. Uns steht oft unsere Bequemlichkeit im weg, doch dort machen sie einfach weiter.

Die Dreharbeiten brachten das Team an entlegene Orte

Warum sollte man den Film eurer Meinung nach auf gar keinen Fall auf der Berlinale verpassen?

Andrea Schütte: Weil er auf eindrucksvolle Weise im Kleinen das Große zeigt.

Credits: Setfotos: Konrad Waldmann/Tamtam Film Filmstills: Tamtam Film/Axel Schneppat
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