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Die Geburtsstunde der Fake-News

26.02.2020 | Kinostart "Curveball"

"Curveball - Wir machen die Wahrheit" feierte seine Weltpremiere auf der 70. Berlinale

Ein Politdrama mit grotesken Zügen: Regisseur Johannes Naber erzählt mit "Curveball - Wir machen die Warheit" die wahre Geschichte eines BND-Biowaffenexperten, der durch einen internen Fehler Argumente für den Irak-Krieg 2003 lieferte. Produzent ist die noch junge Firma Bon Voyage Films aus Hamburg. Die Produzenten Amir Hamz und Christian Springer erzählen, wie der Film in den letzten zehn Jahren entstanden ist.

Wie seid ihr auf die Story des Films gekommen?

Amir Hamz: Ich bin auf die Geschichte über den NDR-Dokumentarfilm "Die Lügen vom Dienst" gekommen. Das war im Jahr 2010. In dem Film, den mir der Panorama-Journalist Stefan Buchen noch im Schnitt zeigte, geht es um die Verwicklungen des Bundesnachrichtendienstes in den Irak-Krieg. Durch weitere Recherche haben wir dann herausgefunden, dass eine wirklich extrem spannende Geschichte dahintersteckt. Die Ereignisse um "Curveball" waren im Endeffekt die Geburtsstunde von dem, was wir heute als "Fake-News" bezeichnen.

Regisseur Johannes Naber (r.) im Gespräch mit Darsteller Thorsten Merten

Und wie ging es dann weiter?

Amir Hamz: Ich hab den fertigen Film auf DVD bekommen und ein gutes halbes Jahr drauf rumgedacht. Zu der Zeit war ich auch frisch als Produzent gestartet und noch am Anfang. Ich traf mich zuerst mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, da ich sehr inhaltlich vorgehen wollte. Er war sofort interessiert und wurde ein entscheidender Impulsgeber am Anfang unseres Weges, auch wenn er als Autor aus Zeitgründen nicht mitwirken konnte. Im Anschluss traf ich mich mit Regisseur Johannes Naber, der ein paar Monate vorher den Max Ophüls-Preis bekommen hatte für seinen Film "Der Albaner". Aus Interviews mit ihm wusste ich, dass er sehr politisch ist und sich gut in komplexe Themen einarbeiten kann. Für „Der Albaner" war er ein Jahr lang in Albanien und hat die Sprache gelernt, das fand ich sehr beeindruckend. Ich konnte ihn ziemlich schnell für die Geschichte begeistern. 

Nachdem Johannes als Regisseur zugesagt hatte, haben wir uns alle gemeinsam mit dem NDR-Redakteur Stefan Buchen mehrfach für vier bis fünf Stunden zusammengesetzt. Die Hauptfrage bei diesen Gesprächen war, aus welcher Perspektive wir erzählen wollen und wie die Tonalität sein sollte. Wir waren dann sehr schnell bei der deutschen Perspektive und wollten etwas zeigen, was man aus den Medien so noch nicht kannte: Besonders den Geltungsdrang und das geringe Selbstbewusstsein des BND gegenüber dem großen amerikanischen Bruder.

Christian Springer: Für mich war das groteske Element immer das entscheidende. Den Film als strengen Politthriller zu erzählen, wäre meiner Ansicht nach nicht der richtige Ansatz gewesen. Der groteske Ansatz hat uns auch den nötigen Freiraum gegeben.

Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) gerät zwischen die Fronten

Warum habt ihr euch für Sebastian Blomberg als Hauptdarsteller entschieden?

Christian Springer: Sebastian Blomberg ist ein großartiger Schauspieler. Und: Sebastian und Johannes hatten in einigen anderen Produktionen schon recht eng zusammengearbeitet.

Was musste Blomberg als Schauspieler für die Rolle mitbringen?

Amir Hamz: Von Drama über tragische und humorvolle bis zu groteske Szenen musste er alles spielen können – eine ziemliche Bandbreite also.

Kurz mal durchatmen: Sebastian Blomberg in einer ruhigen Minute am Set

Welchem Genre würdet ihr "Curveball" zurechnen?

Christian Springer: Es ist ein Politdrama, das groteske Züge trägt. Das dem Ernst des Themas gerecht wird, aber – und das ist uns sehr wichtig – auch sehr unterhaltsam, spannend und auch komisch ist.

Wer von eurer Crew kam aus Hamburg?

Christian Springer: Fast die gesamte Ausstattungsabteilung. Das Szenenbild hat Tamo Kunz gemacht, Art Director war Seth Turner (beide u.a. "Der Goldenen Handschuh", a.d.R.), die Maskenbildnerin Stefanie Gredig kommt ebenfalls aus Hamburg, genauso wie zwei Requisiteure. Und natürlich unser Autor Oliver Keidel. Das Kernteam kam somit aus der Hansestadt. Je nach Bundesland hat sich das dann jedoch noch etwas durchmischt.

Berlinale Tea Time: (v.l.) Christian Springer, Kultursenator Carsten Brosda, Sebastian Blomberg, FFHSH-Chef Helge Albers, Fahri Yardim, Amir Hamz und Johannes Naber

Wo habt ihr bei uns in der Region überall gedreht?

Christian Springer: In Itzehoe, Elmshorn und Hamburg. In der Hansestadt haben wir einen Tag vor und in der Handelskammer gedreht. Im Film ist es das Gebäude für die Münchener Sicherheitskonferenz. In Itzehoe wurde das ehemalige Gruner und Jahr Gebäude am Rande der Stadt zur Zentrale des Bundesnachrichtendienstes.

Gute Laune am Set: Regisseur Johannes Naber und seine Crew

Ist Curveball bisher das größte Projekt eurer Produktionsfirma Bon Voyage?

Amir Hamz: Mit der neuen Firmenkonstellation ist "Curveball" tatsächlich das größte Projekt bisher, ja. Wir haben aber in der Vergangenheit federführend ähnlich große Filme produziert, allerdings nicht unter dem Label der Firma.

Fahri Yardim ist der dritte Produzent im Bunde bei Bon Voyage. Wie habt ihr drei zusammengefunden?

Amir Hamz: Fahri hat in Hamburg Soziologie im Nebenfach studiert, ich Politikwissenschaften, da haben wir uns kennengelernt. Es hat natürlich sehr gut gepasst, dass "Curveball" mit seinem politischen Hintergrund unser erstes großes Projekt war. Durch ihn hatten wir dann auch schnell einen sehr guten Draht zum NDR, der früh in das Projekt mit eingestiegen ist. Christian kenne ich schon seit fast zehn Jahren durch diverse andere Projekte wie "Die dunkle Seite des Mondes" oder "Der Nachtmahr". Und Christian und Fahri haben ebenfalls in der Vergangenheit Filme zusammen gemacht. Die Firma war also einfach ein logischer nächster Schritt. Wir wollten alle den Entstehungsprozess eines Films noch proaktiver gestalten. Gleichzeitig haben wir aber auch eine große Neugier für andere Formate geteilt.

Nachhaltige Dreharbeiten: "Curveball" wurde mit dem Grünen Drehpass der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ausgezeichnet

Und in welche Richtung soll es mit eurer neuen Firma gehen?

Amir Hamz: Unser Portfolio umfasst nicht nur Spielfilme, sondern auch Dokumentarfilme, Serien und andere Formate. Wir wollen eine Lücke besetzen zwischen Anspruch und Kommerz. Man muss sich in Deutschland oft für das eine oder andere entscheiden. Das wollen wir nicht.

Christian Springer: Einen Schwerpunkt haben wir nicht, auch wenn das nicht nach Beliebigkeit klingen soll. Wir sind aber offen. Es muss einen spannenden Rahmen oder eine Geschichte geben, die uns berührt. Wir entwickeln Dinge aus dem Bauch heraus und schauen, wie man vielleicht mal etwas anders machen kann. Und da sind wir alle drei auf einer Linie.

Amir Hamz: Das tolle an der heutigen Zeit ist, dass man mit ganz unterschiedlichen Akteuren Partnerschaften eingehen kann. Ob Streaming-Plattformen, Pay-TV Sender oder Plattformen von Öffentlich-Rechtlichen wie funk. Man kann Kino, Serien oder Dokus machen, in alle Richtungen überlegen und zu jeder Idee den passenden Partner finden. Das entspricht sehr unserem Naturell. Wir suchen die richtigen Vehikel um spannende Geschichten zu erzählen.

Die Dreharbeiten haben u.a. in Elmshorn, Itzehoe und Hamburg stattgefunden

Wie teilt ihr euch zu dritt die Aufgaben auf?

Amir Hamz: Fahri ist und bleibt Schauspieler, daher ist er nicht so involviert im Tagesgeschäft wie wir. Dadurch hat er aber meist einen ganz frischen und klugen Blick auf die Projekte, der uns hilft. Er bringt einiges an Klarheit rein, gepaart mit seiner langjährigen Erfahrung und vielen hundert gelesenen Drehbüchern.

Wie aus Ideen konkrete Projekte werden, das läuft dann meistens über mich, da ich viel Kontakt zu den Kreativen, zu den Agenturen und auch den möglichen Partnern habe und früh eine Vision habe. Man stolpert über irgendeinen Artikel und sagt, „Daraus könnte man eigentlich was machen". Wie bei Curveball auch. Diese Arbeit macht mir sehr viel Spaß.

Christian Springer: Ich bin dann derjenige, der alles einer gewissen Realitätsprüfung unterzieht (lacht). Aber es fließt alles ineinander und man kann das gar nicht so genau auseinanderhalten.

Verspürt ihr einen besonderen Druck bei Curveball, da es euer erstes großes Projekt ist?

Christan Springer: Als die Zusage von der Berlinale kam, hat sich einiges an Druck gelöst. Denn vorher ist immer eine gewisse Unsicherheit da, ob man alles richtig gemacht hat oder nicht.

Wisst ihr noch, wann ihr erfahren habt, dass Curveball bei der Berlinale läuft?

Amir Hamz: Wir waren abends in Berlin mit Fahri zum Essen verabredet – und dann rief der künstlerische Leiter der Berlinale Carlo Chatrian an. Das war am 15. Januar um ziemlich genau 20 Uhr, das hat sich eingebrannt. Christians erste Reaktion war „jetzt lasst uns mal nicht in Panik verfallen". Und ich konnte mich an dem ganzen Abend auf wirklich gar nichts mehr konzentrieren (lacht). Aber dafür macht man es ja. Eine Premiere vor 2.000 Leuten im Friedrichstadt Palast – das ist Wahnsinn.

Credits: Filmstills und Setfotos: Filmwelt Verleihagentur/Bon Voyage Films
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