Für viele norddeutsche Cineasten ist es DAS Highlight des Jahres. 10 Tage vollgepackt mit Filmperlen aus Deutschland und aller Welt. Insgesamt 130 Filme wird das Filmfest Hamburg zum 25. Jubiläum in fünf Hamburger Kinos zeigen, viele haben auf die eine oder andere Weise eine norddeutsche Beteiligung oder wurden hier gedreht. Welche das sind, verraten wir euch in unserem Filmfest-Special.
Eine Hochhaussiedlung in Hamburg: Das Leben des 17-jährigen Mauser (Leonard Scheicher) dreht sich fast ausschließlich um den Boxsport, bis er auf einer illegalen Party Jackie (Emilia Schüle) kennenlernt - ein reiches Mädchen, das auf den ersten Blick so gar nicht zu ihm passen mag. Als sein Vater (Clemens Schick) ihm kurze Zeit später anvertraut, dass er seine Mutter umgebracht hat und daraufhin verschwindet, macht sich Mauser auf die Suche nach ihm. Doch gleichzeitig will Mauser mit Jackie auf ein Festival in Polen. Und dann ist da auch noch Edda, das liebenswert-nerdige Mädchen aus der Videothek. Jackie oder Boxen oder Edda? Und wo ist der Vater? Die Romanverfilmung von Hamburg Media School-Absolvent Ilker Çatak ist Roadmovie, Western und Musikvideo in einem – ein meisterhaft geschnittener Bilderrausch, der den Zuschauer bis zur letzten Sekunde nicht mehr loslässt.
Seit Ben (Frederick Lau) denken kann, sind er und sein Bruder Barnabas (David Kross) ein Herz und eine Seele. Barnabas, der auch Simpel genannt wird, ist 22 Jahre alt, geistig aber auf dem Stand eines Dreijährigen. Auch wenn Simpel fürchterlich nerven kann, ist ein Leben ohne ihn für Ben absolut unvorstellbar. Als ihre Mutter unerwartet stirbt, soll Simpel in ein Heim eingewiesen werden. Die Brüder flüchten und brechen zu einer irren Odyssee durch Norddeutschland bis nach Hamburg auf. Zutiefst emotional und dabei umwerfend komisch erzählt Simpel von einem ungewöhnlichen Bruderpaar, das nichts trennen kann.
Seit Jahrzehnten wird Kenia von Terroranschlägen der islamischen Al-Shabaab erschüttert. Zwischen Christen und Muslimen wachsen Angst und Misstrauen, bis im Dezember 2015 den Passagieren eines Reisebusses ein beispielloses Zeugnis der Menschlichkeit gelingt. Hamburg Media School-Absolventin Katja Benrath (Regie) und ihr Team holten für ihren Kurzfilm in diesem Jahr bereits den Studenten-Oscar sowie zwei Preise bei den First Steps Awards in Berlin.
Als die Paartherapeutin Luisa (Lina Beckmann) eines Morgens aufwacht, gibt es sie plötzlich doppelt. Sie hat sich über Nacht aufgespalten in die alte Luisa und die neue Ann. Äußerlich sind die beiden wie Zwillinge, sonst aber grundverschieden: Luisa steht ständig unter Strom, Ann ist die Ruhe selbst. Bald erkennt Luisa, was für Möglichkeiten ihr das zweite Ich eröffnet: Endlich kann sie mit ihrem Lover Leopold (Benno Fürmann) durchbrennen, während Ann sich um ihren Mann Richard (Charly Hübner) kümmert. Doch Richard findet Ann viel besser, als Luisa das lieb ist. Irre skurril und rasend komisch erzählt Lola Randls teilweise auch in Hamburg gedrehter Film von den Überforderungen des modernen Lebens.
Vor Jahren hat Ricky (Moritz Bleibtreu) nach einem missglückten Überfall für seinen Bruder Rafael (Edin Hasanovic) und Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) den Kopf hingehalten. Latif möchte sich auf ganz besondere Weise bei Ricky für seine Zeit im Knast erkenntlich zeigen: Er bietet ihm ein scheinbar sicheres letztes Ding an, mit Aussicht auf viel Geld. Nach anfänglichem Zögern schlägt Ricky ein und holt auch seinen Bruder Rafael an Bord. Alles läuft reibungslos, bis die Polizistin Diana (Birgit Minichmayr) auftaucht und die Pläne der Jungs durchkreuzt. Spannung bis zum Anschlag – mit mehreren Drehtagen in Hamburg.
Wenn Science Fiction zur Wirklichkeit wird: Der Begriff "Pre-Crime" stammt ursprünglich von dem US-amerikanischen Romanautor Philip K. Dick und umschreibt heute die Erfüllung eines alten Polizistentraums – vor dem Täter am Tatort zu sein. Geheime Algorithmen suchen Metadaten nach Mustern ab und liefern Prognosen über Ort und Zeit möglicher Verbrechen. In aufwendigen Recherchen und mit alarmierenden Resultaten nehmen die Hamburger Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder eine nicht nur in den USA von Kriminalisten gefeierte Analyse-Software unter die Lupe und fragen: Wo endet der Schutz der Bevölkerung und wo beginnt Big Data?
Nur die Briefe seiner alten Schulfreundin Amina geben Janus während des Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik Hoffnung. Plötzlich aber bleibt die Post aus. Der junge Mann befürchtet das Schlimmste und macht sich gleich nach seiner Entlassung auf die Suche. Amina hat ihn gerettet; nun will er das Gleiche für sie tun. Doch je obsessiver er in das Leben der Verschwundenen eindringt, in umso größere Gefahr gerät er. Janus droht, sich in einem Geflecht aus Gewalt und Paranoia zu verlieren. Die deutsch-dänische Koproduktion (von deutscher Seite Tamtam Film aus Hamburg) von Regisseur Jacob Bitsch balanciert virtuos auf der Schwelle zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn und überschreitet die Genre-Grenzen immer wieder.
Die neunjährige Sól ist eine Tagträumerin und Gelegenheitsdiebin – sehr zum Missfallen ihrer Eltern. Damit sie Vernunft und Pflichtgefühl lernt, schicken sie das kleine Mädchen den Sommer über zu entfernten Verwandten, die in der Einöde Islands eine Farm betreiben. Hier, mitten im Nirgendwo, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein und die Familienverhältnisse sind schwierig. Einzig zum Stallburschen Jón kann Sól eine Verbindung aufbauen, aber auch die Farmerstochter Ásta buhlt um Jóns Aufmerksamkeit. Eingebettet in die atemberaubende Landschaft Islands, erzählt Regisseurin Ása Helga Hjörleifsdóttir von einem Familienkosmos, in dem ein Mädchen versucht, innerhalb der Zwänge der Erwachsenenwelt seine Freiheit zu finden. Das isländische Familiendrama wurde von Junafilm aus Hamburg Ottensen koproduziert.
25 Jahre ist es bereits her, seitdem das Filmfest Hamburg zum ersten Mal seine Tore geöffnet hat. Seitdem ist viel passiert: Rund 2800 nationale und internationale Filmproduktionen wurden als Welt,- Europa- oder Deutschlandpremiere gezeigt. Die Zuschauerzahlen haben sich verzehnfacht, die zu vergebenen Filmpreise sind auf insgesamt elf Stück angewachsen – der jüngste Zugang ist der Sichtwechselpreis des Auswärtigen Amts, der 2017 zum ersten Mal vergeben wird. Die Anfänge des Filmfest Hamburg reichen bis ins Jahr 1968 zurück, in dem Filmemacher wie Werner Nekes oder Abaton-Gründer Werner Grassmann aus Protest gegen die einengenden Strukturen der Filmwirtschaft die 1. Hamburg Filmschau veranstalteten. 1979 folgte in Hamburg das Filmfest der Filmemacher, an dem unter anderem auch Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff mitwirkten. Die am Ende des Festivals formulierte Hamburger Erklärung gegen die Fremdbestimmung des deutschen Films führte zur Gründung des Hamburger Filmbüros, durch das später das Filmfest Hamburg aus der Taufe gehoben wurde.
Als der Bauingenieur Michael Winter (Stephan Kampwirth) seine Arbeit verliert, kommt er gemeinsam mit seiner Frau Friederike (Katharina Schüttler) und der achtjährigen Tochter Selma im Mietshaus seines Schwiegervaters auf St. Pauli unter – inmitten der ehemaligen Chinatown Hamburgs. Doch auf der Wohnung in der Schmuckstraße, in der vor vielen Jahren die geheimnisvolle Chinesin Ouyang starb, scheint ein Fluch zu liegen. Böse Geister treiben dort ihr Unwesen. Immer häufiger wird Friederike von Wahnvorstellungen heimgesucht. Als sie und ihr Vater plötzlich spurlos verschwinden, spitzen sich die Ereignisse zu. Spannender Mysterythriller von Regisseur Damian Schipporeit vor realem historischen Hintergrund.
Ein Dokumentarfilm über die Liebe in der Kälte: Regisseurin Olga Delane, Mitte 30, Single, reist nach 20 Jahren von Berlin in ihr sibirisches Heimatdorf. Dort geht bei der Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau alles seinen traditionellen Gang: Er ist der Chef und sorgt für den Unterhalt, sie kriegt Kinder und kümmert sich um den Haushalt. Romantik ist nur bedingt vorgesehen. Olga erntet für ihr Großstadtleben ohne Mann und Kinder Kopfschütteln und spitze Kommentare. Das soll ein glückliches Leben sein? Unmöglich! Mit warmherzigem Humor lässt der Film die unterschiedlichen Lebensentwürfe aufeinanderprallen und taucht dabei in eine zauberhafte Natur im Wechsel der Jahreszeiten ein. Produziert wurde der Film von DOPPELPLUSULTRA aus Hamburg.
Neben zwei Tatort-Folgen (Dunkle Zeit, Borowksi und das Land zwischen den Meeren) sowie zwei Folgen der Kinderserie Pfefferkörner wird es mit Drift das Langfilmdebüt der HfbK-Absolventin Helena Wittmann zu sehen geben, das dieses Jahr bereits auf dem Filmfest Venedig lief. Ebenfalls von einem HfbK-Team kommt der Film Dazu den Satan zwingen, der das gebührenfinanzierte Fernsehen in Frage stellt.
Auch wenn der G20-Gipfel noch nicht lange her ist, beschäftigen sich die ersten Filme bereits mit den Protesten und Veranstaltungen rund um das Hamburger Großereignis – so auch Der Gipfel – Performing G20 von Regisseur Rasmus Gerlach. Eine Coming of Age-Dokumentation über vier Jugendliche aus einer deutschen Provinz liefert Regisseur und HfbK-Absolvent Thomas Oswald mit seinem Film Im Mittelpunkt der Welt. In Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern beschäftigt sich Regisseurin Ulrike Pfeiffer mit dem Leben des Experimentalfilmers Werner Nekes, der viele Jahre seines Schaffens in Hamburg verbracht hat. Gleich drei Geschichten widmet sich Regisseur Karim Moussaoui in seinem Film Until the birds return, der einen Einblick in die Lebensrealität Algeriens gibt.