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Erst reise ich, dann reist das Publikum

30.09.2021 | Red Balloon Film: Koproduktionen „Made in Hamburg“

Regisseur Ameer Fakher Eldin (l.) und Kameramann Niklas Lindschau in den Golanhöhen

Mit „France" von Bruno Dumont und „Der Fremde" von Ameer Fakher Eldin ist die Hamburger Produzentin Dorothe Beinemeier beim Filmfest Hamburg gleich mit zwei ganz unterschiedlichen Filmen vertreten. Doch beides sind internationale Koproduktionen, die das Autorenkino feiern. Ein Blick in die Welt von Red Balloon Film.

Socken, Plastiktüte, Socken, Plastiktüte – und erst dann die Schuhe. Dass diese Kombination gegen nasse Eisfüße hilft, hätte die Hamburger Produzentin Dorothe Beinemeier nicht gedacht, als sie sich im Dezember 2019 auf den Weg nach Israel an die syrische Grenze machte. Hier drehte Regisseur Ameer Fakher Eldin knapp drei Wochen lang sein Langfilmdebüt „Der Fremde" in den Golanhöhen. Er selbst ist hier aufgewachsen, kennt sich in der Gegend aus. Für den Hamburger Teil der Crew war es ein nasskaltes Abenteuer: „Unsere Zusammenarbeit ist durch ein paar glückliche Zufälle zustande gekommen. Eigentlich war ich im Sommer 2018 für ein anderes Projekt nach Israel gefahren, lernte dort jedoch Ameer kennen. Ein junger, aufstrebender Regisseur, der nach Partnern für seinen ersten Langfilm suchte", verrät Beinemeier. Auch wenn die Finanzierung nicht gerade einfach war, entschied sie sich dafür, das Projekt mit ihrer Hamburger Firma Red Balloon Film zu unterstützen. Die besondere Handschrift des Regisseurs hatte sie überzeugt.

"Der Fremde"-Hauptdarsteller Ashraf Barhoum mit Produzentin Dorothe Beinemeier + Tocher Leni in Israel

Und so fuhr sie im Jahr 2019 über die Weihnachtsfeiertage an die syrische Grenze – gemeinsam mit dem Hamburger Kameramann und HMS-Absolventen Niklas Lindschau und ein paar weiteren Crewmitgliedern aus der Hansestadt. „Der Winter dort ist wirklich hart und wir mussten uns Tipps von den Einheimischen holen, um dem Wetter standzuhalten", verrät Beinemeier. Für die Postproduktion kam der Regisseur im Anschluss nach Deutschland – und lebt seitdem dank eines Künstlervisums in Hamburg. Und genau das ist es, was Beinemeier bei internationalen Koproduktionen antreibt: Partnerschaften, die über eine einmalige Zusammenarbeit hinausgehen. Und natürlich Filmtalente für ihre Heimatstadt zu gewinnen.

Bei den Dreharbeiten in den Golanhöhen musste sich die Crew aus Hamburg warm anziehen

Vor wenigen Wochen feierte „Der Fremde" seine Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig und wurde mit dem Edipo Re Preis ausgezeichnet. Ein toller Erfolg für einen Debütfilm und eine Bestätigung für Beinemeiers Gespür. Am 5. Oktober folgt dann die Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg. Im Fokus des Films steht ein gescheiterter Arzt in den Golanhöhen, der zu viel trinkt und sich mit seiner Familie überworfen hat. Dann trifft er eines Tages auf einen Verwundeten aus dem Syrienkrieg – und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Kurze Pause am Set - und dann geht's weiter

Doch in diesem Jahr läuft mit „France" von Bruno Dumont am 7. Oktober direkt noch eine zweite Produktion beim Filmfest, die von Red Ballon Film koproduziert wurde. „Ich habe mich riesig gefreut, als die Zusammenarbeit mit Bruno zustande gekommen ist und konnte mein Glück kaum fassen", schwärmt Beinemeier. Der Film mit Weltstar Léa Seydoux in der Hauptrolle hatte seine Premiere im Wettbewerb in Cannes 2021. Erzählt wird die fiktive Geschichte der Starjournalistin France de Meurs, die scheinbar nichts aus der Bahn wirft, bis sie bei einem Autounfall einen Rollstuhlfahrer verletzt, in eine Abwärtsspirale gerät und nochmal von vorne anfangen muss. Auch wenn der Film nicht im Norden gedreht wurde, so war hier u.a. mit Barbara Kreuzer (Make Up) wieder ein Teil des Teams aus Hamburg und Teile der Postproduktion fanden ebenfalls in der Hansestadt statt. Darüber hinaus drehte das Team rund eine Woche in Bayern.

Léa Seydoux spielt die Hauptrolle in dem Cannes-Film "France"

Ein Regiedebut aus den Golanhöhen und parallel großes Kino aus Frankreich, wie passt das zusammen? „Beide Filme sind reinstes Arthouse- bzw. Autorenkino. Da liegt für mich die Schnittmenge", so Beinemeier. Außerdem baut sie bei beiden Projekten auf langfristige Zusammenarbeit. Sowohl mit Dumont als auch mit Ameer Fakher Eldin sind aktuell neue Projekte geplant. Bei so viel Autorenkino vergisst man fast, dass die Hamburger Produzentin eigentlich aus dem Kinder- und Familienfilm kommt. Mit ihrer früheren Firma Hamsterfilm produzierte sie erfolgreiche Projekte wie „Mein Freund, die Giraffe" oder die Vampirserie „Die Erben der Nacht". Ihr aktuelles Projekt ist die Verfilmung der Jugendbuchreihe „Alea Aquarius", für die sie sich schon sehr früh die Rechte sicherte. Die Serie befindet sich aktuell in der Projektentwicklung. Mit „When I'm done dying" hat Beinemeier außerdem einen Jugendfilm um einen Rapper aus dem Slums von Istanbul im Portfolio. Das Drama gewann beim Tallinn Black Nights Film Festival bereits einen Award für die beste Regie (Nisan Dağ) und startet hoffentlich auch demnächst bei uns. Der Film passt perfekt zu Red Balloon: Eine internationale Koproduktion mit junger Regisseurin. „Andere Länder, andere Kulturen, andere Geschichten. Dafür mache ich Koproduktionen. Man könnte auch sagen: Erst reise ich, dann reist das Publikum", sagt Beinemeier und lacht. Film als Reise, als Völkerverständigung, ohne dabei den Kinosessel oder das Wohnzimmer verlassen zu müssen. Sie möchte ihrem Publikum Neues zeigen und Verständnis für andere Kulturen entwickeln.

Doch auch die Hamburger Produzentin selbst geht natürlich gerne im Kinosessel auf Reise. Gibt es einen Film, auf den sie sich beim Filmfest Hamburg besonders freut? „Ich bin schon sehr gespannt auf den Abschlussfilm 'Les Olympiades' von Jacques Audiard. Aber darüber hinaus ist es das größte Geschenk, dass das Filmfest physisch stattfindet, man ins Kino gehen und sich mit Leuten vor Ort unterhalten kann", so Beinemeier. Dem können wir uns nur anschließen.

Credits: Fotos "Der Fremde": Red Balloon Film Still "France": MFA Filmdistribution
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