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Perspektivwechsel

19.02.2023 | "Im toten Winkel" goes Berlinale

Der heimliche Star des Films: Cagla Yurga spielt die siebenjährige Melek

Auch wenn nicht in Hamburg gedreht wurde, steckt hier jede Menge Hansestadt drin: Ayşe Polats neuer Film „Im toten Winkel" feiert seine Weltpremiere in der „Encounters"-Sektion der 73. Berlinale. Ein aufregender Mix aus Drama, Thriller und Mystery. Wir haben für euch hinter die Kulissen geschaut.

Als die Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Ayşe Polat im Jahr 2015 in Istanbul unterwegs war, begegnete sie in der Nähe vom Taksim-Platz den demonstrierenden Samstagsmüttern. Ihre Söhne wurden in den 90er Jahren entführt und sind nie wieder aufgetaucht. „Das hat mich wirklich sehr bewegt – für mich sah es aus wie eine seit langer Zeit immer noch offene Wunde", sagt die Hamburgerin Polat. Dieses Erlebnis war die Ausgangslage für ihren neuen Film: In „Im toten Winkel" besucht ein deutsches Filmteam im Nordosten der Türkei ein abgelegenes Dorf. Hier werden sie Zeuge, wie eine ältere Frau durch ein wederkehrendes Ritual die Erinnerung an ihren verschwundenen Sohn wachhält. Was das deutsche Filmteam nicht weiß: Sie befinden sich bereits im Fadenkreuz einer zwielichtigen Organisation, die das Verschwinden vertuschen will.

Das deutsche Filmteam mit Übersetzerin Übersetzerin Leyla (r. Aybi Era)

Um die Geschichte sowohl aus Opfer- als auch aus Tätersicht zu zeigen, erzählt die 52-jährige Regisseurin die Geschichte in drei Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven – und das im wahrsten Sinne des Wortes: So werden die Aufnahmen einer ARRI-Kamera gekonnt mit Handy-Aufnahmen und den Bildern mehrerer Überwachungskameras verwoben. „Angelehnt ans Found Footage-Genre gibt es immer wieder Lücken, welche die Zuschauer*innen selbst füllen müssen", sagt Polat. Gedreht wurde während der Corona-Pandemie im Jahr 2021 rund 40 Tage in einer kleinen Stadt im Nordosten der Türkei – die Proben fanden jedoch in Hamburg statt. Das Team mietete hier eine kleine Wohnung, um mit dem Hamburger Kameramann Patrick Orth die unterschiedlichen Kameras und ihre Wirkungsweisen zu testen. Auch die Hauptdarsteller*innen reisten für die gemeinsamen Proben an. Fun Fact: Es gab auch einen echten Drehtag auf der Reeperbahn – der es jedoch leider nicht in den finalen Film geschafft hat. Dafür fand die komplette Postproduktion im Anschluss an der Elbe statt.

Filmstill "Im toten Winkel"
Zafer (Ahmet Varli) und seine Tochter Melek

Wer „Im toten Winkel" das erste Mal schaut, stellt sich unweigerlich die Genre-Frage – denn die ist in diesem Fall gar nicht so leicht zu beantworten. Der Film startet als Sozialdrama und wandelt sich im Laufe der Handlung immer weiter in einen Thriller, der zusätzlich auch noch mit Mystery-Elementen gespickt ist. Im zweiten und dritten Kapitel des Films stehen die siebenjährige Melek und ihr Vater Zafer im Mittelpunkt, der für die bereits genannte, sinistere Organisation arbeitet. Während Zafer sich mit seinem Job mehr und mehr unwohl fühlt und paranoide Züge entwickelt, scheint das Mädchen seherische Fähigkeiten zu haben und weiß Dinge, die es eigentlich gar nicht wissen kann. Wenn sie mit starrem Blick direkt die Kamera fixiert, fühlt man sich unweigerlich an Horror-Klassiker wie etwa „The Shining" erinnert. „Das Casting für die Kinderrolle hat gut ein Jahr gedauert. Letztendlich haben wir uns dann für Cagla Yurga entschieden – sie kann den Blick extrem lange halten, das hat mich ziemlich beeindruckt. Sie hat ihre Sache wirklich toll gemacht, wir sind auch immer noch in Kontakt", so Polat. In weiteren Hauptrollen sind Ahmet Varli, Nihan Okutucu und die Berliner Schauspielerin Aybi Era zu sehen.

Zafer ist Mitglied einer Organisation, die in dunkle Machenschaften verstrickt ist

„Im toten Winkel" wird seine Premiere auf der Berlinale in der noch recht jungen „Encounters"-Sektion haben – ein passender Ort für Polats Genre-Mix. „Ich hab mich sehr über die Zusage gefreut. Und die Sektion ist genau richtig für uns – hier werden Formate gezeigt, die ästhetisch etwas anders sind", sagt die Regisseurin. Ein starker Mix, der ganz bestimmt nicht im toten Winkel der Berlinale-Zuschauer*innen verschwinden wird.

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